In der 79. Minute des Niederrheinpokal-Spiels beim SV Sonsbeck stockte den rund 1000 Fans von Fußball-Drittligist Rot-Weiss Essen im Willy-Lemkens-Sportpark der Atem.
Stürmer Niklas Binn hatte die große Möglichkeit für den Oberligisten, die Sensation fast perfekt zu machen. Der SVS-Angreifer wurde im Strafraum angespielt, ließ RWE-Verteidiger Tobias Kraulich aussteigen und stand danach alleine vor Felix Wienand. Binn zielte aus wenigen Metern auf die kurze Ecke, doch der Essener Torwart verhinderte mit einer blitzschnellen Fußabwehr, die nah an einen Spagat herankam, das vorentscheidende 0:2 aus Sicht des Titelverteidigers.
Ohne diese sehenswerte Parade wäre es dem Drittligisten möglicherweise nicht mehr gelungen, dieses Spiel zu drehen. Wienand ebnete somit den Weg für ein torreiches Finish in den Schlussminuten, das RWE einen 3:1 (0:1)-Sieg und somit den Einzug in das Halbfinale des Verbandspokals sicherte.
Wienand wusste, dass er einen großen Anteil am hart erarbeiteten Weiterkommen hatte. „Gut, dass ich den halten konnte, sonst wäre es sehr schwer geworden. Ich wollte da sein, als ich gebraucht wurde“, sagte der 22-Jährige in aller Bescheidenheit.
Die Essener hatten den Start in dieses Pokalspiel komplett verschlafen und lagen nicht unverdient zur Pause zurück. „Wir haben es nicht gut verteidigt in der ersten Halbzeit, wir kamen nicht in die Zweikämpfe“, befand Wienand. Erst nach einer Standpauke in der Halbzeitpause wurde es aus RWE-Sicht besser. Die Essener dominierten, scheiterten aber am zweiten starken Torhüter auf dem Feld.
Jonas Holzum ließ den Favoriten lange verzweifeln. Wienand erkannte die starke Leistung seines Torhüter-Kollegen an. „Wir hatten viele Chancen, vor allem in der zweiten Halbzeit. Kompliment an den gegnerischen Torwart, der sehr starke Dinger rausgeholt und uns das Leben schwer gemacht hat. Zum Glück konnten wir am Ende treffen.“
Der Niederrheinpokal ist für Wienand aktuell die einzige Möglichkeit, sich abseits des Trainings auszuzeichnen. In allen vier Pokal-Partien kam der junge Torhüter bisher zum Einsatz und blieb fehlerfrei. In der Meisterschaft kommt er seit seinem Wechsel an die Hafenstraße nicht an Stammtorwart Jakob Golz vorbei. Im Sommer 2022 kam der Schlussmann von der U23 des FC Schalke 04 nach Essen, um als zweiter Mann hinter Golz zu reifen.
RWE-Torwart Wienand darf sich nur im Niederrheinpokal auszeichnen In der 3. Liga durfte Wienand ihn bisher nur dreimal vertreten. Im Niederrheinpokal muss er trotz fehlender Spielpraxis bereit sein, wenn er wie am Samstag gefordert wird. „Als Torwart ist das anspruchsvoll und mental sehr schwer“, räumte der in Bocholt geborene Torhüter ein. „Das ist anders als bei einem Feldspieler. Man muss an seine Ziele denken und hart arbeiten. Das machen wir alle.“
Wienands Ziel ist es nicht, ewig die Nummer zwei zu bleiben. Ob seine Stunde in Essen bald schlagen wird, hängt davon ab, wie Jakob Golz (26) über seine sportliche Zukunft entscheiden wird. Der Ex-Hamburger gehört zu den besten Torhütern der Liga und hat das Interesse mehrerer Klubs geweckt.
Sein Berater hatte im Sommer gegenüber dem RevierSport bestätigt, „dass es Anfragen und ein konkretes Angebot“ gab, das Golz jedoch ablehnte. Die Essener Verantwortlichen wollen Golz unbedingt halten, aktuell gibt es aber keine konkreten Gespräche über eine Vertragsverlängerung. Ähnlich wie bei Lucas Brumme wird es RWE nach Informationen dieser Redaktion sehr schwer haben, ihn von einem Verbleib zu überzeugen.
Sollte RWE Golz verlieren, stünde in Felix Wienand bereits ein potenzieller Nachfolger in den eigenen Reihen bereit. Der 1,90 Meter große Torhüter wurde in der Schalker Knappenschmiede ausgebildet, stand 22 Mal in der Regionalliga im Tor der U23 und trainierte schon bei den Profis. Er bringt alle Voraussetzungen mit, um sich im Profifußball durchzusetzen. In Sonsbeck hat er das unterstrichen. Auch sein Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. Eine Verlängerung dürfte es nur geben, wenn Golz gehen sollte. Wienand ist bereit für den nächsten Schritt auf seiner Karriereleiter. Weitere Jahre als Nummer zwei in der 3. Liga wären für seine Entwicklung nicht förderlich.
Rot-Weiss Essen: „Haben einen höheren Anspruch an uns selbst“
Falls sich die Tür für Wienand in Essen öffnet, soll er seine Chance möglichst nicht in der Regionalliga West bekommen. Rot-Weiss Essen steckt nach einer bisher enttäuschenden Saison im Tabellenkeller der 3. Liga. Wienand geht davon aus, dass die sportliche Wende bald gelingen wird. „Wir haben einen höheren Anspruch an uns selbst. Ich glaube, dass wir trotz einzelner Rückschläge einen Aufwärtstrend hatten. Daran gilt es anzuknüpfen.“